Bestien für Norn (Eine Kostprobe von Tuf), Teil 1

Von George R. R. Martin. Dies ist die Urversion von „A Beast for Norn“, die 1976 in der Anthologie „Andromeda 1“ erschien, hier in der deutschen Übersetzung von Rainer Zubeil aus dem unten abgebildeten Knaur-Taschenbuch „BESTIEN FÜR NORN“ (März 1980, ISBN 3-426-05722-0). Eine viel spätere erweiterte und umgeschriebene Fassung mit dem Titel „Eine Bestie für Norn“ ist als Teil des Haviland-Tuf-Episodenromans „Planetenwanderer“ (2013; Originaltitel: „Tuf Voyaging“, 1986) sowie in GRRMs Sammelband „Traumlieder II“ erschienen. In letzterem Buch ist der von mir im Anhang zum zweiten Teil wiedergegebene Essay „Eine Kostprobe von Tuf“ enthalten, in dem George R. R. Martin den Werdegang seines Romanhelden Haviland Tuf sowie die Gründe für das Umschreiben dieser kürzeren Urfassung der allerersten Geschichte über ihn erläutert.

HAVILAND TUF entspannte sich in einem Bierhaus auf Tamber, als er von dem dünnen Mann gefunden wurde. Tuf saß allein in dem dunkelsten Winkel der fahl erleuchteten Taverne, die Ellbogen auf den Tisch aufgestützt, und sein kahler Schädel berührte fast die niedrigen Holzbalken der Decke. Vor ihm standen vier leere Krüge, nur noch am Boden mit Schaum bedeckt, während ein fünfter, halb gefüllt, von seinen riesigen, schwieligen Händen gehalten wurde.

Falls Tuf die seltsamen Blicke bemerkte, die ihm die anderen Gäste von Zeit zu Zeit zuwarfen, so ließ er es sich nicht anmerken; methodisch schlürfte er sein Bier, und sein Gesicht – kalkweiß und völlig haarlos wie sein ganzer Körper – war undurchdringlich. Er war ein Mann von beeindruckender Gestalt, dieser Haviland Tuf, ein Riese mit einem gleichermaßen riesigen Wanst, und er wirkte auf merkwürdige Weise einsam, wie er allein in der Nische sein Bier trank.

Allerdings war er nicht wirklich allein, um die Wahrheit zu sagen; sein schwarzer Kater Dax lag schlafend vor ihm auf dem Tisch, ein Ball aus dunklem Pelz, und Tuf setzte dann und wann den Bierkrug ab, um nachdenklich seinen stummen Gefährten zu streicheln. Dax rührte sich nicht von seinem bequemen Platz zwischen den leeren Krügen. Die Katze war im Vergleich zu anderen Katzen so groß wie Haviland Tuf im Vergleich zu anderen Menschen.

Als sich der dünne Mann Tufs Nische näherte, hüllte sich Tuf in Schweigen. Er blickte lediglich auf, blinzelte und wartete, dass der andere beginnen würde.

„Sie sind Haviland Tuf, der Tierhändler“, stellte der dünne Mann fest. Er war in der Tat krankhaft dünn. Das Gewand aus schwarzem Leder und grauem Fell schlotterte an seinem Körper und warf überall Falten. Aber er war kein armer Mann, denn unter seinem schwarzen Haarschopf verborgen trug er einen schmalen Messingreif um die Stirn, und Ringe schmückten seine Finger.

Tuf streichelte Dax, blickte die Katze an und begann mit ihr zu reden. „Hast du das gehört, Dax?“ fragte er. Tuf sprach sehr langsam, seine Stimme war ein voller Bass mit geringer Modulation. „Ich bin Haviland Tuf, der Tierhändler. Zumindest bezeichnet man mich so.“ Dann sah er wieder zu dem dünnen Mann auf, der ungeduldig dastand. „Sir“, begann er, „ich bin tatsächlich Haviland Tuf. Und ich verkaufe tatsächlich Tiere. Allerdings halte ich mich nicht für einen Tierhändler. Ich bin ein Ökologischer Ingenieur.“

Der dünne Mann bewegte seine Hand in einer grimmigen Gebärde und ließ sich unaufgefordert gegenüber von Tuf nieder. „Ich weiß, dass Sie ein Brutschiff des alten Ökologischen Korps besitzen, aber das macht Sie nicht zu einem Ökologischen Ingenieur, Tuf. Diese Leute sind alle seit vielen Jahrhunderten tot. Aber wenn Sie es vorziehen, dass man Sie einen Ökologischen Ingenieur nennt, soll es mir recht sein. Ich benötige Ihre Dienste. Ich möchte von Ihnen ein Ungeheuer kaufen, eine große, wilde Bestie.“

„Ah“, machte Tuf, wandte sich wieder an die Katze. „Dieser Fremde, der sich selbst hier eingeladen hat, möchte ein Ungeheuer kaufen.“

„Mein Name ist Herold Norn, wenn es das ist, was Sie stört“, erklärte der dünne Mann. „Ich bin der Senior-Bestienmeister meines Hauses, einem der Zwölf Großen Häuser von Lyronica.“

„Lyronica“, wiederholte Tuf. „Ich habe von Lyronica gehört. Die Nachbarwelt in Richtung Milchstraßenrand, nicht wahr? Berühmt für ihre Kampfarenen.“

Norn lächelte. „Ja, ja“, bestätigte er.

Haviland Tuf liebkoste Dax mit einem seltsamen rhythmischen Kraulen hinter den Ohren, und der Kater streckte sich gemächlich, gähnte und blickte hinauf zu dem dünnen Mann. Eine Welle der Beruhigung durchströmte Tuf; sein Gast wahr wohlgesinnt und ehrlich, wie es schien. Laut Dax. Alle Katzen verfügen über geringe Psi-Kräfte. Bei Dax waren sie besonders ausgeprägt; die genetischen Zauberer des vergangenen Ökologischen Korps hatten dafür gesorgt. Er war Tufs Gedankenleser.

„Es kommt Licht in die Angelegenheit“, bemerkte Tuf. „Vielleicht sind Sie so freundlich und tragen weiter zur Klärung bei, Herold Norn?“

Norn nickte. „Gewiss, gewiss. Was wissen Sie über Lyronica, Tuf? Abgesehen von den Kampfarenen?“

Tufs schläfriges und starres weißes Gesicht blieb ausdruckslos. „Nur wenig. Vielleicht nicht genug, um mit Ihnen ins Geschäft zu kommen. Sagen Sie, was Ihnen in den Sinn kommt, und Dax und ich werden die Sache überdenken.“

Herold Norn rieb sich die dünnen Hände und nickte wieder. „Dax?“ fragte er. „Oh, natürlich. Ihre Katze. Ein schönes Geschöpf, obwohl ich nicht viel für Tiere übrig habe, die nicht kämpfen können. Wahre Schönheit liegt in der Macht zum Töten, sage ich immer.“

„Eine merkwürdige Einstellung“, kommentierte Tuf.

„Nein, nein“, widersprach Norn, „nicht ganz. Ich hoffe, dass Ihre Arbeit hier Sie nicht mit der Überempfindlichkeit der Tamberkin infiziert hat.“

Schweigend leerte Tuf seinen Krug und bestellte dann mit einem Wink zwei neue. Der Barkeeper brachte sie kurze Zeit später.

„Danke, danke“, sagte Norn, als der Krug mit der goldenen, schäumenden Flüssigkeit vor ihm stand.

„Prost.“

„Ja. Also, die Zwölf Großen Häuser von Lyronica konkurrieren miteinander in den Kampfarenen, wie Sie wissen. Es begann – oh, vor Jahrhunderten. Früher bekriegten sich die Häuser. Dieses System ist viel besser. Die Familienehre wird bewahrt, Reichtum errungen, und niemand kommt zu Schaden. Sehen Sie, jedes Haus kontrolliert große, über den ganzen Planeten verstreute Gebiete, und da das Land sehr dünn besiedelt ist, wimmelt es von tierischem Leben. Die Lords der Großen Häuser beschlossen während einer Periode des Friedens vor vielen Jahren, Tierkämpfe einzuführen. Es war ein vergnüglicher Zeitvertreib, dessen Ursprünge bis weit zurück in die Geschichte reichen – möglicherweise kennen Sie die Sitte der Hahnenkämpfe, und vielleicht haben Sie auch schon von dem altirdischen Volk der Römer gehört, das verschiedene wilde Tierarten in großen Arenen gegeneinander kämpfen ließ.“

Norn verstummte und trank etwas Bier, wartete auf eine Antwort, aber Tuf streichelte lediglich den wachsamen Dax und sagte nichts.

„Wie dem auch sei“, fuhr der dünne Mann schließlich fort und wischte sich mit seinem Handrücken den Schaum vom Mund. „Das war der Beginn des Sports, wie Sie sehen. Jedes Haus besitzt eigene, unverwechselbare Ländereien, eigene, besondere Tiere. Das Haus Varcour beispielsweise befindet sich im heißen, sumpfigen Süden, und sie lieben es, riesige Eidechsenlöwen in die Kampfarenen zu schicken. Feridian, ein Bergreich, hat ein Vermögen mit einer Rasse von Felsaffen gewonnen und verteidigt, die man naheliegenderweise Feridians nennt. Mein eigenes Haus, Norn, erhebt sich auf den Prärien des großen nördlichen Kontinents. Wir haben hundert verschiedene Bestien für die Kämpfe in den Arenen aufgestellt, aber hauptsächlich sind wir durch unsere Eisenzähne berühmt geworden.“

„Eisenzähne?“ wiederholte Tuf.

Norn schenkte ihm ein verschmitztes Lächeln. „Ja“, sagte er stolz. „Als Senior-Bestienmeister habe ich Tausende von ihnen trainiert. Oh, sie sind liebliche Tiere! So groß wie Sie, mit einem Fell von wunderbarer blauschwarzer Farbe, wild und unbarmherzig.“

„Hunde?“

„Aber solche Hunde“, sagte Norn und nickte.

„Trotzdem verlangen Sie von mir ein Ungeheuer.“

Norn trank erneut einen Schluck Bier. „Wahr, wahr. Besucher von mehr als einem Dutzend benachbarter Welten reisen nach Lyronica, um die Bestien in den Arenen kämpfen zu sehen und auf den Ausgang Wetten abzuschließen. Größtenteils strömen sie in die Bronzene Arena, die seit sechshundert Jahren in der Stadt Aller Häuser besteht. Dort werden die größten Kämpfe ausgetragen. Der Wohlstand unserer Häuser und unserer Welt beruht darauf. Ohne die Kämpfe wäre Lyronica so arm wie die Farmer von Tamber.“

„Ja“, bestätigte Tuf.

„Aber wissen Sie, dieser Reichtum verteilt sich auf die Häuser nach ihrem Ruhm, nach ihren Siegen. Das Haus Arneth ist durch die vielen tödlichen Bestien seiner verschiedenen Ländereien zu dem größten und mächtigsten geworden; die anderen folgen nach der Zahl ihrer Triumphe in der Bronzenen Arena. Der Erlös eines jeden Kampfes – all das Geld, das von den Zuschauern und Wettern gezahlt wird – geht an den Sieger.“

Haviland Tuf kraulte Dax wieder hinter den Ohren. „Das Haus Norn steht also in der Rangfolge an letzter Stelle der Zwölf Großen Häuser von Lyronica“, stellte er fest, und der Impuls, den er von Dax empfing, sagte ihm, dass er recht hatte.

„Sie wissen es“, murmelte Norn.

„Sir, es war offensichtlich. Aber ist es nach den Gesetzen Ihrer Bronzenen Arena ethisch, ein außerweltliches Ungeheuer zu kaufen und einzusetzen?“

„Es gibt Präzedenzfälle. Vor rund siebzig Standardjahren kam ein Spieler von der Alt-Erde nach Lyronica und brachte ein Wesen mit, das er einen Steppenwolf nannte und das er selbst dressiert hatte. Das Haus Colin unterstützte ihn in einem Anfall von geistiger Umnachtung. Seine arme Bestie kämpfte gegen einen Norner Eisenzahn, der sich der Aufgabe mehr als gewachsen erwies. Es gibt noch weitere Beispiele.

In den letzten Jahren haben sich unsere Eisenzähne unglücklicherweise nicht ausreichend vermehrt. Die wildlebende Spezies ist auf den Prärien fast ausgestorben, und die wenigen, die überlebten, sind außerordentlich schnell und deshalb durch unsere Hausmänner schwer zu fangen. In den Zuchtanlagen scheint die Brut trotz all meiner Bemühungen und den Anstrengungen der Bestienmeister vor mir zu verweichlichen. In der letzten Zeit hat Norn nur wenige Siege errungen, und ich werde nicht mehr lange Senior bleiben, wenn nicht bald etwas geschieht. Wir verarmen. Als ich hörte, dass ein Brutschiff nach Tamber gekommen ist, entschied ich mich, Sie aufzusuchen. Ich will für Norn eine neue Ära des Ruhmes einleiten – mit Ihrer Hilfe.“

Haviland Tuf saß bewegungslos da. „Ich verstehe. Gleichwohl pflege ich keine Ungeheuer zu verkaufen. Die Arche ist ein altes Brutschiff und wurde vor Jahrtausenden von den irdischen Kaisern in den Dienst gestellt, um mit einem Ökokrieg die Hranganer zu dezimieren. Ich kann tausend Krankheiten entfesseln, und in den Zellbanken befindet sich Kloning-Material von mehr Bestien, als Sie zählen können. Jedenfalls missverstehen Sie die Natur eines Ökokrieges. Die tödlichsten Feinde sind keine großen Raubtiere, sondern kleine Insekten, die die Ernte einer Welt vernichten können, oder Heuschrecken, die sich vermehren und vermehren und alles andere Leben auslöschen.“

Herold Norn sah niedergeschlagen drein. „Dann haben Sie also nichts für mich?“

Tuf streichelte Dax. „Nicht viel. Eine Million Arten von Insekten, hunderttausend Arten kleiner Vögel, ebenso viele Fische. Aber Ungeheuer, Ungeheuer – nur ein paar… vielleicht tausend. Sie werden von Zeit zu Zeit benötigt, teilweise aus psychologischen Gründen.“

„Tausend Ungeheuer!“ Norn wirkte aufgeregt. „Das ist mehr Auswahl als nötig! Sicher werden wir darunter eine Bestie für Norn finden!“

„Vielleicht“, wiegelte Tuf ab. „Was meinst du, Dax?“ fragte er seinen Kater. „Ja? Aha!“ Er sah wieder zu Norn. „Diese Angelegenheit interessiert mich, Herold Norn. Und meine Aufgabe hier ist erledigt. Ich habe den Tamberkin einen Vogel gegeben, der ihre Wurzelwurmplage beseitigen wird, und der Vogel arbeitet gut. Also werden Dax und ich die Arche nach Lyronica bringen und uns dort die Kampfarenen anschauen, und dann werden wir entscheiden, was zu tun ist.“

Norn lächelte. „Ausgezeichnet“, sagte er. „Lassen Sie mich diese Runde für Sie bezahlen.“ Und Dax teilte Haviland Tuf lautlos mit, dass der dünne Mann mit dem Gefühl des Sieges verschwand.

*       *       *

Die Bronzene Arena befand sich im Zentrum der Stadt Aller Häuser, an jener Stelle, wo die von den Zwölf Großen Häusern beherrschten Sektoren wie die Stücke einer gewaltigen Torte zusammentrafen. Jeder Sektor der weitläufigen steinernen Stadt war von einer Mauer umgeben, über jedem flatterte eine Flagge mit den jeweiligen Farben der Häuser, jeder besaß einen eigenen Baustil und eine unverwechselbare Atmosphäre; aber alle trafen sich in der Bronzenen Arena.

Die Arena war nicht wirklich aus Bronze, sondern bestand größtenteils aus schwarzem Stein und poliertem Holz. Sie war größer als alle anderen Gebäude mit Ausnahme einiger weniger Türme und Minarette, die es in der Stadt gab, und gekrönt wurde sie von einer glänzenden bronzenen Kuppel, die in den orangenen Strahlen der untergehenden Sonne funkelte. Aus Stein gemeißelte und mit Bronze und Gusseisen verzierte Wasserspeier blickten aus den schmalen Fenstern des Gebäudes. Die großen Tore in den schwarzen steinernen Mauern bestanden ebenfalls aus Metall, und es gab zwölf von ihnen, so dass jeder Durchgang in einen anderen Sektor der Stadt Aller Häuser führte. Die Farben und die Ziselierungen der einzelnen Tore waren mit denen der jeweiligen Häuser identisch.

Lyronicas Sonne war eine Faust aus rotem Feuer, die den westlichen Horizont beschmutzte, als Haviland Tuf von Herold Norn zu den Spielen begleitet wurde. Die Hausmänner hatten kurz zuvor Gasfackeln entzündet, metallene Obelisken, die wie dunkle Zähne die Bronzene Arena ringförmig umgaben, und das rohe alte Gebäude thronte zwischen flackernden Säulen aus blauroten Flammen. Inmitten einer großen Gruppe von Spielern und Wettern folgte Tuf Herold Norn durch die halbverlassenen Straßen der nornischen Slums, die in einen Pfad aus zermalmten Steinen mündeten. Er zog sich zwischen zwölf bronzenen Eisenzähnen entlang, die, in zeitlosen Posen erstarrt, knurrend und fauchend den Weg säumten, und dann durchschritten sie das geöffnete Norntor, dessen Flügel aus reinem, messingbeschlagenem Ebenholz bestanden. Die uniformierten Wächter, die wie Herold Norn mit schwarzem Leder und grauem Fell bekleidet waren, erkannten den Bestienmeister und ließen ihn und Tuf passieren; die anderen mussten warten und ihren Eintritt mit Gold- und Eisenmünzen bezahlen.

Die Arena war die größte des ganzen Planeten; sie war eine Arena mit einem sandigen Schlachtfeld tief unter den Rängen, von einer vier Meter hohen Steinmauer umgeben. Daran schlossen sich die Sitzreihen an, wanden sich kreisförmig und in emporsteigenden Spiralen um die Arena und endeten knapp vor den Toren. Genug Plätze für dreißigtausend Besucher, obwohl jene im Hintergrund bestenfalls über geringe Sicht verfügten und andere Plätze von eisernen Säulen behindert wurden. Überall in dem Gebäude waren Wettannahmeschalter zu finden.

Herold Norn führte Tuf zu den besten Plätzen der Arena, die der Norn-Sektion gegenüber lagen und wo man nur durch eine steinerne Brüstung vor dem vier Meter tiefen Sturz in das Schlachtfeld bewahrt wurde. Die Sitze hier waren keine wackeligen Eisen- und Holzgestelle wie jene weiter hinten, sondern Throne aus Leder, groß genug, um selbst Tufs gewaltiges Gewicht ohne Schwierigkeiten aufzunehmen, und sie erwiesen sich als außerordentlich bequem. „Jeder Sitz besteht aus der Haut einer Bestie, die stolz dort unten gefallen ist“, erklärte Herold Norn, als sie Platz genommen hatten. Unter ihnen zerrten mehrere Männer in einteiligen blauen Coveralls den Kadaver eines dunkelgefiederten Tieres zu einem der Ausgänge.

„Ein Kampfvogel des Hauses Wrai Hill“, bemerkte Norn. „Die Bestienmeister von Wrai ließen ihn gegen einen Eidechsenlöwen von Varcour antreten. Nicht gerade eine glückliche Wahl.“

Haviland Tuf schwieg. Er saß steif und aufgerichtet da, bekleidet mit einem grauen, an den Schultern weiten Vinylmantel, der bis zu seinen Knöcheln fiel, und einer grüngrauen Schirmmütze, auf der das goldene Theta, das Wappen des Ökologischen Korps, zu erkennen war. Seine großen, schwieligen Hände waren über seinem hervorquellenden Bauch verschränkt, während Herold Norn unaufhörlich weiterschwatzte.

Dann meldete sich der Arenaansager, und der Donner seiner verstärkten Stimme ließ alles andere verstummen. „Fünfter Kampf“, sagte er. „Aus dem Hause Norn ein männlicher Eisenzahn, zwei Jahre alt, Gewicht 2,6 Quintal, trainiert von Junior-Bestienmeister Kers Norn. Neu in der Bronzenen Arena.“ Direkt unter ihnen scharrte Metall rauh auf Metall, und eine Alptraumgestalt hüpfte in die Arena. Der Eisenzahn war ein zottiger Riese mit eingesunkenen roten Augen und einer doppelten Reihe gekrümmter Zähne, von denen Speichel tropfte; ein Wolf von riesigen Ausmaßen, der mit einem Säbelzahntiger gekreuzt worden war, die Beine so dick wie junge Bäume, und das blauschwarze Fell, welches das Spiel der Muskeln verbarg, täuschte nur wenig über seine Schnelligkeit und tödliche Anmut hinweg. Der Eisenzahn knurrte, und die Arena warf das Geräusch zurück; vereinzelt brandete Beifallsgeschrei auf.

Herold Norn lächelte. „Kers ist ein Cousin von mir und einer unserer vielversprechendsten Junioren. Er sagte mir, dass wir stolz auf diese Bestie sein werden. Ja, ja. Ich glaube, es sieht ganz danach aus, meinen Sie nicht?“

„Da ich neu auf Lyronica und in Ihrer Bronzenen Arena bin, besitze ich keine Vergleichsmöglichkeiten“, gab Tuf mit matter Stimme zur Antwort.

Der Ansager meldete sich wieder. „Aus dem Hause Arneth-in-den-vergoldeten-Wäldern ein Würgeaffe, sechs Jahre alt, mit einem Gewicht von 3,1 Quintal, trainiert von Senior-Bestienmeister Danel Leigh Arneth. Ein dreifacher Veteran der Bronzenen Arena, dreimal siegreich.“

An der gegenüberliegenden Seite der Arena öffnete sich ein anderes Tor – jenes, das mit Gold und Karmesinrot verziert war -, und eine weitere Bestie hüpfte auf zwei Beinen herein und blickte sich um. Der Würgeaffe war klein, aber immens breit, mit einem dreiteiligen Rumpf und einem kugelförmigen Kopf, dessen Augen tief unter einer breiten Knochenleiste verborgen lagen. Seine muskulösen Arme besaßen doppelte Gelenke, und sie schleiften durch den Sand der Arena. Vom Kopf bis zu den Zehen war die Bestie völlig haarlos, nur auf der Unterseite ihrer Arme befanden sich Tupfer aus dunkelrotem Fell; die Haut war ein schmutziges Weiß. Und der Würgeaffe stank. Selbst über die Entfernung hinweg bemerkte Haviland Tuf den moschusartigen Duft.

„Er schwitzt“, erklärte Norn. „Danel Leigh hat ihn zur Raserei getrieben, bevor er ihn in den Kampf schickte. Seine Bestie ist reicher an Erfahrung, verstehen Sie, und der Würgeaffe ist außerdem ein wildes, ungezähmtes Tier. Im Gegensatz zu seinem Verwandten, dem Bergferidian, ist er ein Fleischfresser und benötigt wenig Training. Aber Kers‘ Eisenzahn ist jünger. Der Kampf dürfte interessant werden.“ Der Bestienmeister von Norn beugte sich nach vorn, während Tuf still und reglos sitzen blieb.

Der Affe drehte sich, tief aus seiner Brust drang ein Grollen, und im gleichen Moment schnellte der Eisenzahn auf ihn zu, knurrend, ein blauschwarzer Schatten, der den Sand der Arena aufwirbelte. Der Würgeaffe breitete seine mächtigen, knotigen Arme aus und erwartete ihn, und Tuf hatte den undeutlichen Eindruck, dass die große Bestie von Norn die Distanz mit einem einzigen schrecklichen Sprung überwand. Dann prallten die beiden Tiere aufeinander, überschlugen sich, verbissen sich rasend vor Zorn ineinander, rollten durch den Sand, und die Arena wurde von einer Symphonie greller Schreie erschüttert. „Die Kehle!“ brüllte Norn. „Zerreiß seine Kehle! Zerreiß seine Kehle!“

So plötzlich, wie sie aufeinandergeprallt waren, trennten sich die Bestien auch wieder. Der Eisenzahn wirbelte davon und begann langsam den Gegner zu umkreisen, und Tuf bemerkte, dass einer seiner Vorderläufe verkrümmt und gebrochen war und er auf den drei verbliebenen Läufen humpelte. Trotzdem trabte er weiter. Der Würgeaffe gab sich keine Blöße, sondern bewegte sich lauernd und behielt den umherstreifenden Eisenzahn im Blickfeld. Aus langen klaffenden Wunden ergoss sich Blut über die breite Affenbrust, die von den Säbeln des Eisenzahns aufgerissen worden war, aber die Bestie von Arneth schien nur wenig geschwächt. Neben Tuf begann Herold Norn leise vor sich hin zu murmeln.

Unzufrieden mit der Kampfpause, stimmten die Zuschauer in der Bronzenen Arena ein rhythmisches Lied an, ein leises, wortloses Geräusch, das zu größerer und größerer Lautstärke anschwoll, als neue Stimme hinzukamen und in den Choral einfielen. Tuf erkannte mit einem Mal, dass der Gesang die Tiere unten in der Arena erregte. Sie begannen jetzt zu knurren und zu fauchen, ließen mit wilden Stimmen ihre Schlachtrufe ertönen, und der Würgeaffe stapfte von einem Bein auf das andere, hin und her, in einem makabren Tanz, während Geifer in dünnen Bächen aus dem aufgerissenen Rachen des Eisanzahns lief. Der Chor wuchs und wuchs – Herold Norn fiel ein, und sein magerer Körper bewegte sich leicht im Takt des wortlosen Summens -, und Tuf durchschaute die Natur des grausamen, mordlustigen Liedes. Die Bestien unter ihm wurden dadurch zur Raserei getrieben.

Plötzlich setzte der Eisenzahn zu einer neuen Attacke an, und die langen Arme des Affen griffen nach dem Gegner, um den wilden Ansturm abzuwehren. Die Gewalt des Aufpralls warf den Würger nach hinten, aber Tuf sah, wie die Fänge des Eisenzahns ins Leere schnappten und gleichzeitig der Affe seine Hände um die blauschwarze Kehle legte. Der Eisenzahn schlug wild um sich, aber schnell erlahmten seine Kräfte, und die beiden Tiere rollten durch den Sand. Dann ertönte ein durchdringendes, schreckliches, lautes Knirschen, und das Wolfswesen war nur noch ein lebloses Fellbündel, während der Kopf in einem grotesken Winkel zur Seite hing.

Di Zuschauer brachen ihren murmelnden Gesang ab und begannen zu klatschen oder zu pfeifen. Später glitt die goldene und karmesinrote Tür wieder auf, und der Würgeaffe kehrte dorthin zurück, wo er hergekommen war. Vier Männer in dem Grau und Schwarz des Hauses Norn erschienen und schleppten den Kadaver des Eisenzahns fort.

Herold Norn blickte mürrisch drein. „Eine weitere Niederlage. Ich werde mit Kers sprechen. Seine Bestie hat die Kehle nicht gefunden.“

Haviland Tuf erhob sich. „Ich habe Ihre Bronzene Arena gesehen.“

„Sie wollen gehen?“ fragte Norn ängstlich. „Aber doch nicht so schnell! Es gibt noch fünf weitere Kämpfe. Im nächsten trifft ein Riesenferidian auf einen Wasserskorpion von der Insel Amar!“

„Ich habe genug gesehen. Es wird Zeit, dass ich Dax füttere, und ich muss zurück zur Arche.“

Norn sprang auf und legte Tuf seine Hand auf die Schulter, um ihn zurückzuhalten. „Werden Sie uns ein Ungeheuer verkaufen?“

Tuf löste sich aus dem Griff des Bestienmeisters. „Sir, ich schätze es nicht, dass man mich berührt. Beherrschen Sie sich.“ Als Norns Hand verschwand, sah ihm Tuf in die Augen. „Ich muss meine Aufzeichnungen, meine Computer zu Rate ziehen. Die Arche befindet sich in der Umlaufbahn um Lyronica. Kommen Sie übermorgen zu mir. Es gibt ein Problem, und ich werde mich bemühen, es zu lösen.“ Dann drehte sich Haviland Tuf ohne ein weiteres Wort um und verließ die Bronzene Arena, begab sich zurück zum Raumhafen der Stadt Aller Häuser, wo seine Planetenfähre auf ihn wartete.

*       *       *

Herold Norn war offensichtlich nicht über die Arche informiert. Als sein schwarzgraues Boot angelegt und Tuf ihn eingeschleust hatte, machte der Bestienmeister keinen Versuch, seine Verwunderung zu verbergen. „Ich hätte es wissen müssen“, wiederholte er. „Die Größe dieses Schiffes, die Größe. Aber natürlich hätte ich es wissen müssen.“

Haviland Tuf stand reglos da, hielt Dax im Arm und streichelte langsam die Katze. „Alt-Erde baute größere Schiffe als die modernen Welten. Die Arche muss groß sein, denn sie ist ein Brutschiff. Einst besaß sie zweihundert Besatzungsmitglieder. Jetzt nur noch eins.“

„Sie sind das einzige Besatzungsmitglied?“

Die Katze riet Tuf plötzlich, wachsam zu sein. Der Bestienmeister dachte mit einem Mal in feindseligen Bahnen. „Ja“, bestätigte Tuf. „Das einzige Besatzungsmitglied. Aber natürlich ist Dax auch noch da. Und es gibt programmierte Verteidigungsanlagen, die verhindern, dass ich die Kontrolle über die Arche verliere.“

Norns Pläne verflogen plötzlich, teilte Dax mit. „So ist das“, sagte er. Dann, begierig: „Also, zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?“

„Folgen Sie mir“, bat Tuf und wandte sich ab.

Er führte Norn aus dem Empfangsraum in einen engen Korridor, der in einen größeren mündete. Dort bestiegen sie ein dreirädriges Fahrzeug und fuhren durch einen langen Tunnel, den gläserne Behälter in allen Größen und Formen säumten. In ihnen befand sich eine freundlich gluckernde Flüssigkeit. Eine Reihe Behälter waren in winzige Fächer aufgeteilt, klein wie der Fingernagel eines Menschen; im Gegensatz dazu gab es einen einzelnen Behälter, der groß genug war, um das Innere der Bronzenen Arena in sich aufzunehmen. Er war leer, aber in einigen der mittelgroßen Bottiche schwebten in transparenten Beuteln lebhafte dunkle Schatten. Tuf, in dessen Schoß Dax zusammengerollt lag, blickte während der Fahrt starr geradeaus, aber Norn sah sich verwundert nach allen Seiten um.

Schließlich verließen sie den Tunnel und erreichten einen kleinen, mit Computerkonsolen überfüllten Raum. In den vier Ecken des quadratischen Zimmers befanden sich vier schwere Sessel, auf deren Armlehnen Kontrollknöpfe angebracht waren; der Boden zwischen den Sesseln bestand aus einer runden blauen Metallplatte. Haviland Tuf legte Dax in einen der Sessel, bevor er sich in einen anderen setzte. Norn blickte sich um, nahm dann in dem Sessel gegenüber von Tuf Platz.

„Ich muss Sie über einige Dinge informieren“, begann Tuf.

„Ja, ja“, nickte Norn eifrig.

„Ungeheuer kosten Geld“, fuhr Tuf fort. „Ich verlange einhunderttausend Standard.“

Wie? Das ist Wucher! Wir benötigen hundert Siege in der Bronzenen Arena, um diese Summe aufzubringen. Ich sagte Ihnen, Norn ist ein armes Haus.“

„Aha. Vielleicht wird dann ein reicheres Haus den geforderten Preis bezahlen. Das Ökologische Ingenieurkorps existiert seit Jahrhunderten nicht mehr, Sir. Von seinen Schiffen blieb nur die Arche erhalten. Das Wissen des Korps ist fast völlig vergessen. Die Technik des Kloning und der genetischen Manipulation, wie sie das Korps praktiziert hat, kennt man nur noch auf Prometheus und Alt-Erde selbst, wo solche Geheimnisse streng bewacht werden. Und die Promethaner verfügen nicht mehr über das Stasisfeld, so dass ihre Klone auf natürlichem Wege reifen und wachsen müssen.“ Tuf blickte zur Seite, wo Dax vor den mild blinkenden Dioden der Computerkonsolen in seinem Sessel lag. „Und trotzdem, Dax, hält Herold Norn meinen Preis für zu hoch.“

„Fünfzigtausend Standard“, bot Norn an. „Diesen Preis können wir gerade noch bezahlen.“

Haviland Tuf schwieg.

„Also achtzigtausend Standard! Ich kann unmöglich mehr bieten. Das Haus Norn steht vor dem Bankrott! Man wird unsere bronzenen Eisenzähne zerreißen und das Tor von Norn schleifen!“

Haviland Tuf schwieg.

„Verflucht seien Sie! Schon gut, schon gut, hunderttausend! Aber nur, wenn Ihre Ungeheuer unsere Anforderungen erfüllen.“

„Sie werden die ganze Summe bei Lieferung bezahlen.“

„Unmöglich!“

Erneut versank Haviland Tuf in Schweigen.

„Oh, also gut.“

„Was das Ungeheuer betrifft, so habe ich Ihre Anforderungen streng geprüft und meine Computer damit gefüttert. Hier auf der Arche lagern tiefgefroren in den Zellbanken Tausende und aber Tausende Raubtiere, von denen viele inzwischen auf ihren Heimatwelten ausgestorben sind. Einige wenige, glaube ich, könnten die Ansprüche der Bronzenen Arena erfüllen. Und von diesen, die in Frage kommen, sind eine Reihe aus verschiedenen Gründen unbrauchbar. Beispielsweise habe ich die Auswahl auf jene Bestien begrenzt, die sich mit Erfolg auf den Ländereien des Hauses Norn fortpflanzen können. Ein Wesen, das sich nicht selbst wieder reproduziert, wäre eine armselige Investition. Gleichgültig, wie unbesiegbar es sein mag, würde das Tier dennoch bald altern und sterben, und die Siege von Norn wären beendet.“

„Ein wichtiger Punkt“, bestätigte Herold Norn. „Von Zeit zu Zeit haben wir versucht, Eidechsenlöwen und Feridians und andere Bestien der Zwölf Häuser zu züchten, aber mit wenig Erfolg. Das Klima, die Vegetation…“ Er machte eine bezeichnende Geste.

„Genau. Deshalb habe ich Lebensformen auf Silikonbasis aussortiert, die sicherlich auf Ihrer auf Kohlenstoff basierenden Welt sterben würden. Ebenfalls unberücksichtigt blieben Tiere von Planeten, deren Atmosphären zu stark von Lyronicas Lufthülle abweichen, und Bestien aus anderen Klimazonen. Sie werden hoffentlich die verschiedenartigen und vielfältigen Schwierigkeiten meiner Suche verstehen.“

„Ja, ja, aber kommen Sie zur Sache. Was haben Sie gefunden? Was ist das für ein Ungeheuer, das hunderttausend Standard kostet?“

„Sie haben die Wahl zwischen mehr als dreißig Tieren“, erklärte Tuf. „Passen Sie auf!“

Er berührte einen leuchtenden Knopf an der Armlehne seines Sessels, und plötzlich hockte eine Bestie auf der blaumetallenen Platte zwischen ihnen. Sie war zwei Meter lang, besaß eine gummiartige rosagraue Haut und dünnes weißes Haar, das Gesicht wurde von einer neidrigen Stirn, einem schweineartigen Rüssel und einer Reihe hässlicher, gekrümmter Hörner bestimmt, und an den Händen verfügte sie über dolchartige Klauen.

„Ich möchte Sie nicht mit den wissenschaftlichen Bezeichnungen der einzelnen Spezies belästigen, da ich beobachtet habe, dass in der Bronzenen Arena wenig Wert darauf gelegt wird“, bemerkte Haviland Tuf. „Dies ist das sogenannte Schleichschwein von Heydey, gleichermaßen im Wald und in der Steppe beheimatet. Hauptsächlich ist es ein Aasfresser, aber es hat gelernt, dass frisches Fleisch ebenfalls gut schmeckt, und es kämpft voller Wildheit und Tücke, wenn es angegriffen wird. Man hält es für recht intelligent, aber es lässt sich nicht zähmen. Das Schleichschwein ist außerordentlich fruchtbar. Die Kolonisten von Gulliver haben nach kurzer Zeit ihre Siedlung auf Heydey wegen dieser Tiere aufgegeben. Das war vor etwa zweihundert Jahren.“

Herold Norn kratzte sich den Kopf zwischen dem dunklen Haaransatz und dem Messingreifen. „Nein. Es ist zu dünn, zu leicht. Schauen Sie sich den Nacken an! Und stellen Sie sich vor, was ein Feridian damit anfangen würde.“ Energisch schüttelte er den Kopf. „Nebenbei ist es hässlich. Es gefällt mir nicht. Es passt einfach nicht zu uns. Das Haus Norn züchtet stolze Kämpfer, Bestien, die mit ihren eigenen Waffen töten – und keine Aasfresser, die den Boden der Arena säubern!“

„Aha“, machte Tuf. Er berührte den Knopf, und das Schleichschwein verschwand. An seiner Stelle, dick und lang genug, um die Platte an den Rändern zu berühren und sie zu verschlingen, befand sich ein massiver Ball aus gepanzertem grauem Fleisch, so reizlos wie eine Schlachtplatte.

„Der Heimatwelt dieses Geschöpfs wurde nie ein Name verliehen, niemals wurde sie besiedelt. Eine Expedition von Alt-Poseidon erforschte sie aus irgendwelchen Gründen und brachte Zellkulturen mit zurück. Exemplare in Tiergärten lebten kurz, aber sie gediehen nicht gut. Der Bestie gab man den Spitznamen Walzenramme. Ausgewachsene Exemplare wiegen annähernd sechs Tonnen. Auf den Steppen ihrer Heimatwelt erreichen die Walzenrammen eine Geschwindigkeit von mehr als fünfzig Kilometern pro Standardstunde und zermalmen alles unter sich. Die Bestie ist ein einziges Maul. Aus diesem Grund, da jede Stelle der Haut Verdauungsenzyme produzieren kann, legt es sich einfach über sein Opfer, bis das Fleisch absorbiert ist.“

Herold Norn, der sich in die verschwommene Holografie vertieft hatte, wirkte beeindruckt. „Ah, hm. Besser, viel besser. Ein ehrfurchtgebietendes Geschöpf. Vielleicht… aber nein.“ Sein Tonfall änderte sich unvermittelt. „Nein, nein, das ist nicht das Richtige. Ein Wesen, das sechs Tonnen wiegt und so schnell rollt, könnte vielleicht aus der Bronzenen Arena ausbrechen und Hunderte von unseren Kunden töten. Nebenbei bemerkt, wer wird gutes Geld ausgeben, um zu sehen, wie dieses Ding einen Eidechsenlöwen oder einen Würger zerquetscht? Nein. Das wäre nicht fair. Ihre Walzenramme ist zu monströs, Tuf.“

Ungerührt drückte Tuf erneut den Knopf. Die gewaltige graue Masse machte einer geschmeidigen, fauchenden Katze Platz, groß wie ein Eisenzahn, mit geschlitzten gelben Augen und mächtigen Muskelbündeln unter dem Kleid aus dunkelblauem Fell. Hier und da war das Fell von Streifen durchzogen; lange, dünne Linien aus hellem Silber zogen sich in Längsrichtung bis hinunter zu den Flanken des Tieres.

„Ahhhhhh“, rief Norn. „Eine Schönheit, wirklich, wirklich.“

„Der Kobaltpanther von Celias Welt“, erklärte Tuf, „wird oft auch Kobaltkatze genannt. Einer der größten und tödlichsten Vertreter der Großkatzen oder ihrer Verwandten. Die Bestie ist tatsächlich ein überragender Jäger, ein Wunder der Evolution. Sie kann im Infrarotbereich sehen, um in der Nacht zu jagen, und ihre Ohren – achten Sie auf die Größe und Form, Bestienmeister -, die Ohren sind außerordentlich empfindlich. Als Geschöpf der Katzenlinie besitzt der Kobaltpanther psionische Fähigkeiten, aber in diesem Fall sind ei Fähigkeiten stärker ausgeprägt als normal. Furcht, Hunger und Blutdurst bilden den Auslöser, und die Kobaltkatze wird zum Gedankenleser.“

Norn blickte überrascht auf. „Was?“

„Gedankenleser, Sir. Ich sagte Gedankenleser. Die Kobaltkatze ist ein tödlicher Feind, einfach, weil sie weiß, welche Bewegungen der Gegner machen wird, bevor er sie ausführen kann. Sie antizipiert. Verstehen Sie?“

„Ja.“ Norns Stimme klang heiser. Tuf sah zu Dax hinüber, und der große Kater – der sich nicht im Geringsten an der Parade der geruchlosen Phantome gestört hatte, die aufblitzten und wieder verschwanden – übermittelte ihm, dass die Begeisterung des dünnen Mannes ehrlich war. „Hervorragend, hervorragend! Ja, ich wage sogar zu sagen, dass wir diese Bestien so trainieren können, wie wir den Eisenzahn trainiert haben, eh! Eh? Und Gedankenleser! Hervorragend! Selbst die Farben sind richtig, dunkelblau, wissen Sie, und unsere Eisenzähne sind blauschwarz, so dass die Katzen ausgezeichnet zu Norn passen, ja, ja!“

Tuf berührte die Sessellehne, und die Kobaltkatze verschwand. „Dann gibt es also keinen Grund fortzufahren. Die Lieferung erfolgt in drei Standardwochen, wenn es Ihnen recht ist. Für die vereinbarte Summe erhalten Sie drei Paare, je zwei männliche und weibliche Jungtiere zur Weiterzucht und ein zusammengehörendes Paar ausgewachsener Tiere, die sofort in der Bronzenen Arena eingesetzt werden können.“

„So bald…“ begann Norn. „Schön, aber…“

„Ich benutze das Stasisfeld, Sir. Eingeschaltet erzeugt es temporale Verzerrungen, es beschleunigt die Zeit, wenn Sie so wollen. Ein normaler Prozess. Die Technik der Promethaner würde erfordern, so lange zu warten, bis die Klone alt genug sind, um natürlich zu reifen, was manchmal äußerst lästig und unvorteilhaft ist. Es wäre vielleicht ratsam, nur drei Tiere vorzuzeigen, obwohl ich das Haus von Norn mit sechs beliefere. Die Arche verfügt über drei verschiedene Kobaltkatzen-Zellkulturen. Ich werde aus jeder Spezies ein männliches und ein weibliches Exemplar klonen, und ich hoffe auf lebensfähige genetische Kombinationen, wenn sie sich auf Lyronica kreuzen.“

Dax erfüllte Tufs Bewusstsein mit einer merkwürdigen Mischung aus Triumph und Verwirrung; Herold Norn hatte demnach nichts von dem verstanden, was Tuf ihm gesagt hatte, oder zumindest war dies eine mögliche Erklärung. „Schön, wie dem auch sei“, erklärte Norn, „ich werde die Schiffe rechtzeitig losschicken, um die Tiere abzuholen, und an Bord werden sich ausbruchssichere Käfige befinden. Dann erhalten Sie Ihre Bezahlung.“

Betrug, Misstrauen, Alarm! sendete Dax.

„Sir, Sie werden den vollen Betrag bezahlen, bevor ich Ihnen irgendeine Bestie übergebe.“

„Aber Sie sagten, bei Lieferung.“

„Zugegeben. Allerdings neige ich zu impulsiven Entscheidungen, und eine Laune sagt mir, zuerst kassieren ist besser, als alles gleichzeitig zu erledigen.“

„Oh, also schön“, stimmte Norn zu. „Obwohl Ihre Forderung willkürlich und maßlos ist. Mit diesen Kobaltkatzen sollten wir unser Geld bald wieder hereinbekommen.“ Er wollte sich erheben.

Haviland Tuf hob einen einzigen Finger. „Einen Augenblick. Sie haben mich weder in geeigneter und ausreichender Form über die Ökologie von Lyronica noch über die Besonderheiten der Ländereien von Norn aufgeklärt. Zum Beispiel, ob es genügend Beutetiere gibt. Ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass sich Ihre Kobaltkatzen nicht fortpflanzen werden, wenn es nicht genug zu jagen gibt. Sie benötigen geeignetes Wild.“

„Ja, ja, natürlich.“

„Dann lassen Sie mich noch Folgendes erwähnen. Für zusätzliche fünftausend Standard würde ich Ihnen ein Gestüt celianischer Känguruhs klonen, köstlich mundende, pelzige Pflanzenfresser, die auf einem Dutzend Planeten für ihr wohlschmeckendes Fleisch berühmt sind.“

Herold Norn fröstelte. „Pah, Sie sollten sie uns eigentlich umsonst überlassen. Sie haben uns genug Geld abgepresst Händler, und…“

Tuf erhob sich und zuckte träge die Achseln. „Der Mann beschimpft mich, Dax“, beklagte er sich bei seiner Katze. „Was soll ich tun? Mir geht es lediglich um ein ehrenvolles Leben.“ Er sah Norn an. „Eine weitere meiner Launen überkommt mich. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Sie sich nicht erweichen lassen, selbst wenn ich Ihnen einen hervorragenden Rabatt einräumen würde. Deshalb gebe ich nach. Die Känguruhs gehören Ihnen. Umsonst.“

„Gut. Ausgezeichnet.“ Norn wandte sich zur Tür. „Wir werden sie zur gleichen Zeit wie die Kobaltkatzen übernehmen und auf unserem Besitz aussetzen.“

Haviland Tuf und Dax begleiteten ihn aus dem Zimmer, und sie fuhren in Schweigen gehüllt zurück zu Norns Schiff.

*       *       *

Fortsetzung: Teil 2 der Geschichte plus GRRMs Essay „Eine Kostprobe von Tuf“

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